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Oberlandesgericht Stuttgart

Stuttgart - Neues Sitzungsgebäude für das Oberlandesgericht in Stammheim

Für die Prozesse gegen die Rote-Armee-Frak­tion ist 1975 bei der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim ein hochgesichertes Mehrzweckgebäude errichtet worden. Obwohl als Provisorium erbaut, hat es sich über die Jahrzehnte hinweg zu einer dauerhaften Einrichtung etabliert. In den vergangenen Jahren nahmen die sicherungsintensiven Verfahren zu Terrorismus oder organisierter Kriminalität immer mehr zu und es stellte sich heraus, dass der Altbau die gestiegenen Anforderungen funktional und technisch immer weniger erfüllen konnte. Da die vorhandene Raumstruktur nicht so umgestaltet werden konnte, dass sie den Anforderungen einer modernen Prozessführung gerecht wird, schied ein zeitgemäßer Umbau genauso aus wie eine Sanierung. Folgerichtig fiel die Entscheidung zugunsten eines neuen Sitzungsgebäudes in direkter Nachbarschaft.

Bei der Planung des Neubaus stand das Sicherheitskonzept, das in enger Zusammenarbeit mit dem Oberlandesgericht, dem Landeskriminalamt und der Polizei konzipiert wurde, von Beginn an im Fokus. Bereits mit der Positionierung des Sitzungsgebäudes wurden wesentliche Weichen gestellt. Durch die Lage an der äußersten Ecke im Südosten des Areals präsentiert sich der öffentliche Haupteingang in Richtung des südlich anschließenden Stadtteils Stuttgart-Stammheim, während der interne Zugang über das Justizgelände durch einen Sicherheitszaun geschützt wird.

Obwohl sich die Sicherheitsmaßnahmen auch auf die Fassadengestaltung auswirkten, ist es gelungen, dass die äußere Gestalt des rechteckigen zweigeschossigen Gebäudes den heutigen Anspruch der Justiz nach Transparenz, Offenheit und Menschlichkeit zum Ausdruck bringt. So führt eine großzügige Eingangstreppe, die sich aus der topographischen Situation entwickelt, zum Haupteingang. In die überwiegend geschlossen ausgeführte Erdgeschossfassade ist ein großzügiger Eingangsbereich eingeschnitten. Hier sorgen eine hochwertige Natursteinverkleidung und das über die gesamte Breite des Einschnitts verlaufende Vordach für einen angemessenen Empfang. Die mit einem vertikalen Wellenputz belegten Flächen rechts und links des Haupteingangs nehmen sich gegenüber der Gestaltung des Eingangsbereichs zurück. Im Kontrast dazu ist das Obergeschoss konsequent transparent gestaltet. Das umlaufende Fensterband wird durch markante, plastisch profilierte Metallrahmen vertikal rhythmisiert.

Auch bei der Konzeption des Grundrisses hatte die Sicherheit oberste Priorität. Entsprechend der Gebäudezugänge ist die gesamte innere Organisation in einen öffentlichen und einen nicht öffentlichen Bereich unterteilt. Die innere Erschließung ist mit Sicherheitstüren so angelegt, dass sich die Wege von Justizpersonal, Wachleuten, Häftlingen, Besucherinnen und Besuchern nicht kreuzen. Der Haupteingang mündet in zwei Foyers, die als Wartezonen für die beiden Sitzungssäle fungieren. Die beiden Sitzungssäle, deren Atmosphäre durch viel Tageslicht und warmes Eichenholz bestimmt wird, stellen das Herzstück des Neubaus dar und eröffnen die Möglichkeit paralleler Verhandlungen unter Einsatz neuester Technik und nach modernsten Standards. Zwei begrünte Innenhöfe dienen der Belichtung aller nach innen orientierten Räume und schaffen eine wohltuende Aufenthaltsqualität. Zwischen den beiden Atrien liegt der Aufenthaltsbereich des Wachpersonals. Von hier aus lassen sich praktisch alle Bereiche des Hauses kontrollieren und Interventionen sind über kurze Wege schnell möglich. Entlang der Rückfront und an der Westflanke des Gebäudes befinden sich Büro- und Nebenräume. Eine Kantine im Obergeschoss rundet das Raumprogramm ab.

Das Energiekonzept des Neubaus besteht aus einer hochgedämmten Gebäudehülle, einer Wärmeversorgung über das Heizkraftwerk der Justizvollzugsanstalt sowie effizienten Wärmeverteil- und Lüftungsanlagen. Zudem erfolgte der Innenausbau mit hocheffizienter LED-Beleuchtung und besonderem Augenmerk auf die Raumakustik.

Die Skulptur „Das Schwere und das Leichte“ des Künstlers Markus F. Strieder vor dem Haupteingang besteht aus zwei Teilen und stellt eine Neuinterpretation der Justitia-Waage dar. Hierfür wurde ein geschmiedeter Stahlblock mit einem Gesamtgewicht von 20 Tonnen, dessen Enden als natürliches Ergebnis des Schmiedevorgangs Rundungen aufweisen, in der Mitte auseinandergesägt und die beiden Teile mit der Schnittfläche nach oben aufgestellt. Die relativ kleine Auflagefläche erzeugt einen Eindruck von Leichtigkeit, der im Widerspruch steht zum Wissen um das schiere Gewicht der Skulptur.

Bauherr

Land Baden-Württemberg, vertreten durch Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ludwigsburg

Nutzer

Oberlandesgericht Stuttgart

Projektleitung

Vermögen und Bau Baden-Württemberg, Amt Ludwigsburg

Planung und Bauleitung

Thomas Müller Ivan Reimann

Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

Gesamtbaukosten

29 Mio. Euro

Bauzeit

09/2015–03/2019