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Amt Stuttgart

Stuttgart - Wilhelma, Neubau der Anlage für Menschenaffen

Anlass

Das bestehende Menschenaffenhaus wurde 1973 eröffnet und bildete die Grundlage dafür, dass die Menschenaffenhaltung der Wilhelma weltweit zu einer der erfolgreichsten wurde. Die Gestaltung der Gehege mit den gekachelten Schauräumen und der von Betonoberflächen geprägten Außenanlage stieß jedoch bei den Besuchern zunehmend auf Ablehnung. Zudem genügte die Gehegegröße nicht mehr den Anforderungen des europäischen Erhaltungszuchtprogramms, und eine Sanierung der technischen und baulichen Einrichtungen war dringend erforderlich.

Die Lösung ist ein Neubau auf einer Freifläche in unmittelbarer Nähe des Rosensteinparks. Der Rosensteinpark gilt als größter englischer Landschaftspark Südwestdeutschlands und steht teilweise unter Denkmalschutz. Die baulichen Ausmaße des neuen Menschenaffenhauses mussten daher auf das notwendige Maß beschränkt werden, damit die Sichtbeziehungen vom und in den Park nicht beeinträchtigt werden. Das Ergebnis eines Wettbewerbs ist eine architektonische Lösung, die auf die Ausbildung eines Hauses im herkömmlichen Sinn verzichtet.

Innenansicht Menschenaffenhaus Wilhelma, Stuttgart

Entwurf und Gebäudekonzeption

Ein s-förmiger Baukörper, der unter der Erde zu liegen scheint, ist von außen kaum sichtbar in die Parklandschaft ein gebettet und schlängelt sich um den wertvollen Baumbestand. Zwei gegeneinanderstehende Halbschalen, die intensiv begrünt und an den Hochpunkten jeweils 7,5 Meter hoch sind, bilden künstliche Hügel, die sich jeweils zu einer Seite öffnen, um die Eingänge zu markieren. Über je zwei Lichtbänder in den Dächern gelangt Tageslicht in den Innenraum.

Im Inneren dominieren Sichtbetonflächen und die entlang der Besucherwege drapierten großzügigen Grünpflanzen. Indem die Innengehege zum Besucherbereich nicht wie üblich von oben bis unten mit Sichtscheiben, sondern auch mit Gittern abgetrennt sind, wird das Besuchserlebnis deutlich intensiviert. Der Besucher sieht die Tiere nicht nur, sondern kann sie auch hören und riechen. Über Infotafeln, die zum Teil mit Bildschirmen und interaktiven Touchscreens ausgestattet sind, sowie einen Kinoraum können sich die Besucher zusätzliches Hintergrundwissen aneignen. Die Innengehege sind wie im alten Haus überwiegend nüchtern gestaltet, jedoch ist der Boden mit Rindenschrot bedeckt, um dem Gehege einen natürlicheren Gesamteindruck zu verleihen und das Raumklima positiv zu beeinflussen. Eine sich nach hinten in die Höhe staffelnde Kunstlandschaft ist mit zahlreichen zusätzlichen vertikalen und horizontalen Kletter- und Ruheangeboten ausgestattet, die den Tieren viele Anregungen bieten, um sich zu entfalten.

Auf die künstliche Be- und Entlüftung der Schauräume wurde weitgehend verzichtet. Die Belüftung und Temperierung wird durch die Steuerung der Fassaden- und Deckenklappen, die auch der Entrauchung dienen, sichergestellt. Ein Programm regelt deren Öffnung in Abhängigkeit von Außen- und Innentemperatur. Die massiven Wände und Decken dienen dabei als Puffer, indem sie im Sommer die Kühle der Nacht, im Winter die Sonnenwärme des Tages speichern und zeitverzögert wieder abgeben. Durch eine in den Neubau integrierte Netzersatzanlage mit einer Leistung von 2.500 Kilowatt ist die gesamte Wilhelma nun von der öffentlichen Elektroversorgung unabhängig.

Innenansicht Gehege Menschenaffenhaus

Außenanlage

Im Norden des Gebäudes schließen das 2.000 Quadratmeter große Familiengehege der Gorillas, das im Bedarfsfalle geteilt werden kann, und das kleine Außengehege für die Handaufzuchten an. Das Gorillagelände wird von einer vier Meter hohen Mauer umschlossen, die durch Holz-, Kunstfels- und Panzerglaselemente sowie einem sieben Meter breiten Wassergraben unterbrochen wird. Künstlich erwärmte Bodenflächen hinter den Panzerglasabschnitten sollen die Tiere anlocken, damit trotz des großen Außengeländes Nahbegegnungen zwischen den Gorillas und den Besuchern möglich sind. Wegen der Wärmebedürftigkeit der Bonobos wurden deren zwei Außengehege im Süden angeordnet. Eine bis zu 15 Meter hohe Netzmembran überspannt den Außenbereich dieser kletterfreudigen Affenart. Darunter erfreuen hölzerne, in Form stilisierter Baumskulpturen ausgebildete Klettergerüste, die zugleich Kunst-am-Bau-Beitrag sind, sowohl die Bonobos als auch die Besucher.

Die Planung und Errichtung der maßgeschneiderten Anlage für afrikanische Menschenaffen stellte für alle Beteiligten eine nicht alltägliche Herausforderung dar. Das Ergebnis ist eine gelungene Kombination aus ambitionierter Architektur und Realität gewordenem Ausdruck einer 55-jährigen Tradition der weltweit bekannten und anerkannten Menschenaffenhaltung der Wilhelma. Damit ist die Wilhelma nicht nur um eine Besucherattraktion reicher, sondern auch im Hinblick auf die Haltung und Zucht der Tiere für die nächste Zeit bestens aufgestellt.

Planung und Projektleitung

Land Baden-Württemberg, vertreten durch Vermögen und Bau Baden-Württemberg Amt Stuttgart

Architekten

Hascher + Jehle Planungsgesellschaft mbH Guggenberger + Ott

Außenanlagen

Möhrle und Partner

Gesamtbaukosten

22 Mio. Euro

Bauzeit

06/2010–05/2013

Auszeichnung

Hugo Häring Auszeichnung 2014